Unser Thema am People Thursday, dem 5. Oktober 2023:
Die Implementierung von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie spielt eine immer größere Rolle für Unternehmensleitung und -aufsicht. Wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen müssen frühzeitig erkannt und bei Entscheidungsfindungen berücksichtigt werden. Die Anforderung, nachhaltigkeitsbezogene Indikatoren in die Unternehmensprozesse zu integrieren, wird auf EU-Ebene durch die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD1)) gefordert. Diese wird durch die Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (European Sustainability Reporting Standards, kurz ESRS2)) konkretisiert. Ein entscheidender Steuerungshebel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zur Stärkung von Sustainable Corporate Governance stellt die Ausgestaltung der Vergütungspolitik in Richtung einer fairen Entlohnung im Unternehmen dar.
Was wird diskutiert?
Im Rahmen der Angabepflicht des ESRS S1-16 (Vergütungsparameter) verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, ein Verständnis für das Ausmaß etwaiger Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern unter den Beschäftigten zu schaffen. Außerdem soll verdeutlicht werden, wie groß die Ungleichheit bei der Vergütung innerhalb von Unternehmen ist bzw. ob große Verdienstunterschiede bestehen. Die Verschärfung der regulatorischen Anforderungen betreffend Lohntransparenz kann auf die mangelnde Einkommensgleichheit auf EU-Ebene zurückgeführt werden. Der nach wie vor vorhandene „Gender Pay Gap“, der europaweit im Jahr 2021 durchschnittlich 12,7% betrug und in Österreich sogar bei 18,8% lag3), ebenso wie die in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückte „Managementvergütung“, stellen die Grundlage der Berichtspflicht des ESRS S1-16 dar.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Wesentlichkeitsanalyse, dem Fundament und Ausgangspunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung, einzugehen. So hängt die Offenlegungspflicht der Vergütungsparameter davon ab, ob die Vergütungsthematik im definierten Prozess der Wesentlichkeitsanalyse als „wesentlich“ qualifiziert wurde.
Wie erfolgte die Bestimmung „wesentlicher“ Thematiken?
Der „Double Materiality Ansatz“ erfordert bei der Erarbeitung wesentlicher Themen die Inklusion zweier Perspektiven. Zum einen die „Inside-out-Perspektive“ (Auswirkungswesentlichkeit), die einen Nachhaltigkeitsaspekt als wesentlich qualifiziert, wenn er sich auf Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder die Umwelt bezieht. Zum anderen die „Outside-in-Perspektive“ (Finanzielle Wesentlichkeit), unter derer ein Nachhaltigkeitsaspekt als wesentlich zu definieren ist, wenn dieser finanzielle Auswirkungen auf Unternehmen nach sich zieht oder diese zu erwarten sind.
Unternehmen haben sich während dem Prozess der Wesentlichkeitsanalyse sohin folgende 2 Fragen zu stellen:
Welche tatsächlichen und potenziellen positiven sowie negativen Auswirkungen ergeben sich durch mein Unternehmen direkt oder indirekt auf Umwelt und Mensch?
Welche tatsächlichen und potenziellen finanziellen Risiken und Chancen ergeben sich für mein Unternehmen?
Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist als „wesentlich“ zu erachten, wenn er die Kriterien für die Auswirkungswesentlichkeit oder für die finanzielle Wesentlichkeit oder für beide erfüllt.
„Gleichstellung der Geschlechter und gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ stellt eines der Unter-Unterthemen des ESRS S1 „Eigene Belegschaft“ dar. Der Standard dient dazu, die wesentlichen positiven sowie negativen potenziellen und tatsächlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen des Unternehmens in Bezug auf die eigene Belegschaft zu erarbeiten. Eine Einschätzung der Vergütungsparameter als „wesentlich“ dürfte zu erwarten sein, da die „eigene Belegschaft“ eine bedeutende Stakeholder:innengruppe darstellt.
Was ist gemäß ESRS S1 – 16 verpflichtend anzugeben und was kann optional offengelegt werden?
1. Indikator: Geschlechterspezifisches Verdienstgefälle
Unternehmen müssen (vorbehaltlich Wesentlichkeitsprüfung) die Differenz zwischen dem Durchschnittseinkommen von weiblichen und männlichen Beschäftigten sowie Hintergrundinformationen, die für das Verständnis der Daten und der Art und Weise, wie Daten erhoben wurden, angeben. Optional kann eine Aufschlüsselung nach Beschäftigtenkategorie und nach Land/Segment vorgenommen werden.
Bei der Zusammenstellung der erforderlichen Informationen über das Verdienstgefälle zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten ist von berichtspflichtigen Gesellschaften der Bruttostundenverdienst aller Beschäftigten unter Anwendung folgender Formel zu berücksichtigen:
Jährliche Gesamtvergütung für die höchstbezahlte Person im Unternehmen _____________________________________________________________ Median der jährlichen Gesamtvergütung für die Beschäftigten (ohne die höchstbezahlte Person) |
Praxistipp:
Bedeutender Hinweis in ESRS S1. AR 100: Diese Kennzahl ist für den laufenden Berichtszeitraum und sofern bereits in früheren Nachhaltigkeitsberichten offengelegt, für die beiden vorangegangenen Berichtszeiträume anzugeben.
2. Indikator: Ungleichheit der Vergütung innerhalb des Unternehmens
Unternehmen haben (vorbehaltlich Wesentlichkeitsprüfung) das Verhältnis der jährlichen Gesamtvergütung der am höchsten bezahlten Einzelperson zum Median der jährlichen Gesamtvergütung aller Beschäftigten (ohne die am höchsten bezahlte Einzelperson) sowie die Methodik dahinter offenzulegen. In Bezug auf diese Angabepflichten kann das Unternehmen den um Kaufkraftunterschiede zwischen den Ländern bereinigten Wert angeben.
Folgende Formel ist von den Unternehmen zur Berechnung des Verhältnisses der jährlichen Gesamtvergütung unter Berücksichtigung aller Beschäftigten heranzuziehen:
Jährliche Gesamtvergütung für die höchstbezahlte Person im Unternehmen _____________________________________________________________ Median der jährlichen Gesamtvergütung für die Beschäftigten (ohne die höchstbezahlte Person) |
Wo liegen die Vorteile der Anforderungen des ESRS S1-16 für Unternehmen?
Die Thematik der ungleichen Bezahlung der Geschlechter bei vergleichbarem Qualifikations- und Tätigkeitsprofil ist nicht nur ein wichtiger Aspekt für die Berichterstattung, sondern beschäftigt die Arbeitswelt darüber hinaus auch hinsichtlich Mitarbeitendenzufriedenheit und -motivation, Employer Branding sowie Arbeitgeber:innenattraktivität.
Die geschlechterspezifische Lohnungleichheit existiert schon lange in verschiedenen Formen und Ausprägungen. Dabei wissen wir aus Erfahrung: Auch wenn Geld die Motivation nicht immer steigert, kann eine unzureichende und unfaire Bezahlung zu Demotivation führen und andere Motivationsinitiativen überlagern. Eine faire Entlohnung hingegen steigert Vertrauen, Motivation und Mitarbeitendenbindung und wird schlicht zum Hygienefaktor Ihrer Vergütungspolitik. Bei der Sicherstellung einer fairen Vergütung geht es jedoch um mehr als nur das geschlechterspezifische Gefälle. Auch die Sicherstellung einer angemessenen Entlohnung für alle Arbeitnehmenden unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder anderen persönlichen Merkmalen spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Als Grundlage für die Festlegung von Entlohnungs- und Gehaltsniveaus sollten individuelle Kompetenzen, Fähigkeiten, Qualifikationen, Leistungsbeiträge und Verantwortungsgrade herangezogen werden.
Voraussetzung hierfür sind klare und transparente Unternehmensprozesse entlang des gesamten Employee Life Cycles, die Chancengleichheit und Fairness fördern - angefangen bei der Einstellung bis hin zur individuellen Gestaltung von Beförderungen und Weiterentwicklungsmaßnahmen. Im Allgemeinen gilt: Je besser ein Unternehmen seine Mitarbeitenden kennt, desto eher kann es auf deren individuelle Bedürfnisse eingehen.
Durch die Anwendung von personenzentrierten Karriere- und Kompetenzmodellen bzw. Rollenbewertungsverfahren können vielfältige und maßgeschneiderte Entwicklungswege ermittelt und faire Funktionseinstufungen sowie daran gekoppelte Entlohnungsniveaus festgestellt werden. Wichtig ist dabei, die Integrität von 3 entscheidenden Erfolgsfaktoren sicherzustellen:
- Fairness
- Neutralität
- Transparenz
Fairness kann durch regelmäßige Überprüfungen der Gehaltsstrukturen beurteilt und gegebenenfalls durch die Implementierung von Verbesserungsmaßnahmen gewährleistet werden. Objektive Rahmenbedingungen und Einstufungskriterien ermöglichen die Neutralität und gleiche Behandlung aller Mitarbeitenden und schaffen somit Transparenz bei der Festlegung der Vergütung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass individuelle Gehälter offengelegt werden müssen. Vielmehr geht es darum, Transparenz hinsichtlich der Einstufung und Gehaltsbänder bestimmter Positionen sowie der Zusammensetzung der Gesamtvergütung sicherzustellen. Auf diese Weise können z.B. Prozesse im Zusammenhang mit Beförderungen besser nachvollzogen werden.
Unser wichtigstes Take-away zum Schluss: Regulatorische Anforderungen zwingen Unternehmen dazu, ihre Unternehmensprozesse nicht nur zu justieren, sondern grundlegend zu transformieren. Die Anforderung, Nachhaltigkeit in die Geschäftsstrategie zu integrieren, betrifft immer mehr Organisationen. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den anstehenden Neuerungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verschafft Unternehmen einen Vorteil am Markt und wirkt zudem positiv auf die Attraktivität als Arbeitgeber:in. Denn die unternehmerische Nachhaltigkeitsleistung in Bezug auf ökologische, soziale und Governance-Aspekte wird vor allem bei potenziellen Bewerber:innen aus der Generation Z immer bedeutender und ist somit ausschlaggebend für erfolgreiches Employer Branding.
Autorinnen:
Sabrina Hopf |
Sonja Liebing sonja.liebing@bdo.at +43 5 70 375 - 1081 |
Ansprechpersonen:
Christina Wieser |
2) Finale ESRS (Final 31.7.2023).